Dr. Friedrich Hüttenhein aus Hilchenbach
an seinen Vetter Heinrich Achenbach am 7. Februar 1886
An unserer Gebirgsbahn wird bereits flott
gearbeitet; unser Hilchenbach ist mit Bauleitern,
Unternehmern, Ingenieuren, Bahnmeistern etc. über-
schwemmt u. überdies campieren [?] einige hundert Ar-
beiter in den umliegenden Dörfern und in eigens zu
dem Zwecke errichteten Cantinen und Barracken.
Es ist ein lässiges Leben inmitten der Schneeland-
schaft; eine Schlittenfahrt nach Lützel bietet neuerlich
viel Neues und Interessantes. An einzelnen Punkten
sieht man die Bahnlinie dreimal neben- und über-
einander: im Thal, am gegenüberliegenden Berg-
hang und oben auf der Höhe. Kleine Locomotiven
ziehen hoch oben lange Züge von Erdwagen;
im stillen schneebedeckten Hochwald erblickt man
mit einem Male eine lange Colonne von Arbeitern,
die in der breit ausgehauenen Lichtung Karren schiebt;
in irgend einer Schlucht taucht eine umge-
baute Cantine auf mit wohnlich eingerichteter
Schankstube. Kurz es ist ein ganz eigenthümliches
Bild, welches unsere Berge und unser Wald darbieten.
Das Heer von Polacken u. Italienern unter den Arbei-
tern ist weniger geeignet zu einer anmuthigen Staffage;
man muss eben das eine Bild in einiger Entfernung
auf sich wirken lassen. – Nun, Du wirst ja im Sommer
mit mir den Lützeler Wald wieder besuchen; wir
werden dann die Veränderungen schauen und uns bald-
möglichst dahin wenden, wo uns der Genuss nicht durch
Arbeiter und Sprengschüsse verkümmert [?] wird. – Hilchen-
bach hat sich durch die Bahn eine Schuldenlast von 80.000 M.
aufzulasten und unsere Philister schauen ängstlich auf
die nächsten 30 Jahre, in denen die Summe verzinst und amor-
tisiert werden soll und begreifen nicht, welcher Vortheil
uns durch die Anlage erwächst, der genügend sei, jene Geld-
aufwendung zu compensieren. Die Leute sehen aber immer
nur das Nächstliegende und sind zu schwerfällig von Ent-
schluss, um schon während des Baus das Fünf- und Zehn-
fache jener Summe herauszuschlagen. Wo von hier bis
Lützel ca. 1 ¼ Million Mark verbaut wird, muss doch
ein ganz gehöriger Bruchtheil dieses Betrages hier im
Lande bleiben und für jeden Handwerker, Wirth, Ta-
gelöhner etwas abfallen. Aber sie sehen ruhig zu, wie
Andre und Fremde das Cantinen-Wirthschaften übernehmen,
Contracte über Brod- u. Fleischlieferungen Auswärtigen
gegeben werden; sie räsonnieren über das Arbeiterge-
sindel, welches die Gegend unsicher mache und lassen sich
den Profit entgehen, der ihnen so greifbar nahe liegt. Aus-
nahmen gibt es allerdings u. die bessere Einsicht wird noch
vielen kommen, wenn es vielleicht zu spät ist.
Bildnachweis: StA Siegen, Nachlass Achenbach, Nr. 46